Nächster Halt: Bücherregal

Der Herbst ist da. Die Blätter taumeln zu Boden, um leere Äste zu hinterlassen. Der Wind pfeift schaurig. Und der Regen prasselt gegen die Fensterscheibe. Zeit für Gänsehaut. Keine Jahreszeit ist besser geeignet, um sich mit einem Krimi auf dem Sofa gemütlich zu machen. Oder doch lieber was zum Schmunzeln gegen den ersten Herbst-Blues? Bitte sehr, hier ist lecker Lesefutter.

Das ist neu:

Foto: Knaur Verlag

Kinder sind wunderbar. Sie reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Etikette? Kennen sie nicht. Wir Erwachsenen wissen, die Wahrheit ist grausam. Also haben wir gelernt, die Contenance zu wahren und kommunizieren mit höflich ausgewähltem Vokabular plus einem „Zwischen den Zeilen“-Dialekt mit einer Prise Sarkasmus.

Autor Peter Grünlich ist da Kind im Manne. „Es sind die Sätze, die nicht ausgesprochen werden, die so viel über uns sagen“, philosophiert er und präsentiert seine Nicht-sagen-Lieblingssatz-Sammlung in „Die Jeans ist nicht zu klein, dein Hintern ist einfach zu dick“ (8,99 Euro, Knaur Verlag).

Was würde uns über US-Präsident Barack Obama nie über die Lippen kommen? „Rethorisch erinnert er an den früheren Edmund Stoiber.“ Und: „Er hat einfach nicht das Charisma von Angela Merkel.“ Moderatorin Barbara Schöneberger  – das ist doch „die mit den Schlitzaugen. Ich glaube, die ist magersüchtig.“ Homann-o-mann … „Unser Kind ist nicht faul, es ist dumm.“ – da hat Papa wohl wieder zu tief ins Glas geschaut?

„2432 Dinge, die garantiert keiner sagen würde“ sagen nichts und sind doch nicht nichtssagend. Seltene Satzschätze, fein aneinander gereiht, die schmunzeln lassen. Ab 1. November im Handel. Unbedingt vorbestellen!

Das geht immer:

Ich bin gierig. Ob einen 500-Seiten-Schinken oder ein zartes Reclam-Büchlein, ich verschlinge alles. Mein Bücherregal ächzt unter der gewaltigen Wortsammlung und hält ihr Stand – ein treuer Freund. Ein Autor dominiert: John Katzenbach. Dunkel. Scharfsinnig. Gänsehaut-Garant. Mein Liebling: „Der Wolf“ (19,99 Euro, Knaur Verlag). 2012 erschienen, immer noch lesenswert. Auch beim 2. Mal.

„Niemand hat je getan, was ich vorhabe. Drei völlig unterschiedliche Opfer. An drei völlig verschiedenen Orten. Drei verschiedene Todesarten. Alle am selben Tag. Binnen weniger Stunden. Vielleicht sogar Minuten. Ein Tod, der wie ein fallender Dominostein den nächsten mitreißt. Klick. Klick. Klick“, schreibt er.

Er ist ein Schriftsteller, den keiner mehr liest. Seine Bestseller-Bücher gibt’s in keiner Buchhandlung mehr. Was macht ein Autor, dessen Wörter keiner Beachtung schenkt? Er mordet. Seine Inspiration: das Grimmsche Märchen „Rotkäppchen“. Happy End: ausgeschlossen. Blutig soll es werden, wie die unzensierte Original-Fassung. Die Opfer des Bösen Wolfs: drei rothaarige Frauen, akribisch durchnummeriert in „Rote Eins“, „Rote Zwei“, Rote Drei“.

Schon seit längerer Zeit beschattet er die vereinsamte 51-jährige Internistin Dr. Karen Jayson, die „Rote Eins“. Sie ist sein erstes Opfer. „Rote Zwei“ wird Sarah Locksley, eine Lehrerin, die bei einem tragischen Verkehrsunfall ihren Mann und ihre kleine Tochter verloren hat. Und bei „Rote Drei“ ist seine Wahl auf die 17-jährige College-Studentin Jordan Ellis gefallen, die in der Schule zunehmend versagt, weil sie den endlosen Rosenkrieg ihrer Eltern nicht verkraftet. So unterschiedlich die drei Frauen auch sind, jede von ihnen steckt tief in einer Lebenskrise.

„Du wurdest auserwählt zu sterben“, kündigt der Böse Wolf in einem Brief an und bringt „seine Roten“ vollends aus dem Gleichgewicht. Sie wissen weder, ob ihr Mörder zuschlagen wird, noch wie. Als kurz darauf alle drei einen Link zu einem YouTube-Video erhalten, aufgenommen in Situationen, in denen sie sich unbeobachtet glaubten, ist den Frauen endgültig klar, dass ihr Jäger ihnen ganz nah ist. Das kann kein übler Scherz mehr sein. Der schwere Atem des Wolfs scheint ihnen direkt im Nacken. Wann schlägt er zu? Wann kommt der Tod? Panik. Verzweiflung. Und der Leser? Die Augen fliegen über die Seiten und können es nicht erwarten, dass die Hand die nächste Seite umblättert. Atemlos wie die Opfer.

Was tun wir, wenn alles verloren scheint? Wir beruhigen uns. Wir suchen Hilfe. Wir verkriechen uns an einem sicheren Ort. Doch was, wenn der Mörder uns schon drei Schritte voraus ist? Wenn er genau das erwartet? Die drei Frauen taumeln voller Angst durch ihren Alltag. Als sie herausfindet, dass sie nicht alleine sind, dass es zwei weitere Opfer gibt und es ihnen gelingt, miteinander in Kontakt zu treten, sehen die drei eine Chance. Sie wollen ihm zuvorkommen, ihn töten. Hoffnung flammt auf. In geheimen Treffen schmieden sie Pläne. Doch der Wolf ist clever. Zermürbende Angst macht sich wieder breit – zu Recht. Ein Kampf um Leben und Tod beginnt.

Maximale Spannung bis zur letzten Seite. Das Böse subtil herauszuarbeiten, präzise gezeichnete Charaktere und psychologisch ausgefeilte Schilderungen beklemmender Situationen sind John Katzenbachs Stärke. Das Ende überrascht. So ist er, der Katzenbach.

Mareike Köster

Können Frauen Kunst?

Foto: Fender
Dr. Sabine Wilp, Leiterin der Handwerksform Hannover, im Gespräch mit G². Foto: Fender

Gehen wir ins Museum, sehen wir faszinierende Gemälde, spektakuläre Skulpturen und Exponate – von Männern. Claude Monet, Pablo Picasso oder Franz Marc schrieben Geschichte. Dabei heißt es doch „die“ Kunst. Stellen Frauen lieber vor der Leinwand Modell statt zum Pinsel zu greifen? G² spricht mit Sabine Wilp, Leiterin der Handwerksform Hannover, über Frauen, Kunst und Holzkohle.

Frau Wilp, kommt es mir nur so vor, oder lautet die Gleichung Kunst gleich Mann?

Ja, in der freien Kunstszene gibt es gefühlt weniger Frauen, das stimmt. Aber wenn wir alle ein wenig nachdenken, kommen wir hier in Hannover zum Beispiel schnell auf Nikki de Saint Phalle. In der angewandten Kunst sieht das aber ganz anders aus.

Das heißt?

In der Handwerksform Hannover ist das Gender-Thema auf den Kopf gestellt, mehr Frauen als Männer präsentieren hier ihre Arbeiten. In der Ausstellung „Bestrickend“, die Anfang 2014 eröffnet, ist nur ein Mann unter den Damen.

Wie kommt das?

Wir stellen Exponate aus, die den Alltag verschönern, insbesondere Schmuck, Keramik und Textil. Ein Frauenthema. Dennoch ist es immer eine Frage des Materials. Mit Metall und Holz arbeiten tendenziell mehr Männer. Beim Werkstoff Stein ist das Geschlechterverhältnis dafür ausgeglichen.

Also können Frauen Kunst.

Interessanter Weise können sie es. (lacht) Nein, ernsthaft, die Frage stellt sich gar nicht. Beim Niedersächsischen Staatspreis gibt es viele Frauen unter den Preisträgerinnen. 2013 war es Lucia Schwalenberg. Wenn wir auf 50 Jahre Handwerksform Hannover zurückblicken, haben viele Künstlerinnen bei uns ausgestellt. Derzeit zeigen wir in „GEDOK FormArt 2013“ die drei Preisträgerinnen des „Klaus Oschmann Preises“, und Arbeiten von weiteren 28 Frauen. Doch jetzt kommt das große Aber.

Ich bin gespannt …

Es stellt sich die Frage: Ich bin Künstlerin, aber kann ich auch davon leben?

Wenn Sie so kommen, wahrscheinlich nicht. Was verdient eine Künstlerin im Schnitt?

Es legt mir natürlich niemand seine Steuererklärung vor. Aber gefühlt sind es nur 15.000 bis 25.000 Euro im Jahr. Viele Künstler und insbesondere Künstlerinnen tun sich schwer sich zu vermarkten. Sie wollen nicht „ihre Seele verkaufen“.

Da ist es gut, wenn es eine Finanzspritze gibt. Die Münchener Unternehmerin Elke Oschmann unterstützt speziell Frauen mit dem nach ihrem Mann benannten „Klaus Oschmann Preis“. Wer hat dieses Jahr gewonnen?

Es wurden drei jeweils mit 2.000 Euro dotierte Preise verliehen. Links sehen wir zum einen Daniela Bauers „Orbit“. Sie hat die Jury mit ihren extravaganten Couture-Hüten beeindruckt. Alles handgenähte Unikate, die Naturphänomene visualisieren. Da braucht man Mut zum Hut.

Wow, die Modelle sehen wir bestimmt bald auf der Rennbahn auf der Neuen Bult.

Ja, bestimmt. (lacht) Das Material wird oft bis an die Grenzen ausgereizt. Susanne Elstner (Anm. d. Red: Foto oben rechts) stellt Schmuck her. Aber nicht aus Gold oder Silber, wie man jetzt annehemen könnte. Einmal im Jahr lädt ein Köhler ihre Garage voll mit Holzkohle, aus der sie Broschen fertigt. Faszinierend ist, dass ihre Broschen gar nicht nach Holzkohle aussehen und auch nicht schwarz abfärben – versprochen. Und die dritte Preisträgerin Renate Hahn hat in ihren keramischen Installationen die Grenze zwischen freier und angewandter Kunst verschwimmen lassen. Heißt: Es ist keine Tasse mehr, es ist ein Kunstobjekt.

Stimmt, sieht aus wie ein eingerolltes Stück Papier im und auf einem Becher. Vielleicht ein Liebesbrief?

Wer weiß. Wir können ja mal probieren es auszurollen …

Und die roten Punkte an den Objekten heißt, dass etwas verkauft wurde?

Ja, das kommt vor. Es sei denn, ein Künstler kann sich so gar nicht von seinen Werken trennen. Beispielsweise kommt ein Mann zu uns, der für seine Frau immer zum Hochzeitstag Schmuck kauft. Oder eine ältere Dame, die ihren Wackeldackel lieber aus Holz haben will statt „Made in China“. Richtig schöne Geschenke gibt’s bei unserer Weihnachtsschau ab Ende November.

Guter Tipp! Vielen Dank für das Gespräch.

„GEDOK FormArt 2013: Klaus Oschmann Preis“ ist noch bis zum 19. Oktober 2013 in der Handwerksform Hannover, Berliner Allee 17, zu sehen. Die Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag 11-18 Uhr, Samstag 11-14 Uhr. Eintritt ist frei.

Das offizielle Video der Handwerksform Hannover gibt einen ersten Einblick in die Schau:

Die Popstar-WG

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So wohnen Popstars: Sie haben immer ein Groupie im Bett, einen Privatkoch in der Küche und teure Designermöbel in ihrer Luxus-Bude – denkt man. Königswort-Sänger Cyril Krueger („So’n Schein“) gewährt uns exklusiv Einblick in seine Wohnung in Hannover-Nordstadt und spricht mit uns über Striptease, die wärmsten Socken der Welt und Marie.

Der Wecker klingelt. Schrill. Viel zu früh. Hände tappen im Halbdunkeln über das rote Bettlaken zum kreischenden Ungetüm. Tasten, drücken – Stille. Minuten später piept es wieder. Aus einer anderen Richtung, ein anderer Traumkiller. „Das geht eine Stunde so. Ich muss richtig sauer werden, dann erst stehe ich auf“, erzählt Cyril Krueger Stunden später in seiner Küche in der Nordstadt und zieht seine graue Mütze tiefer ins Gesicht. 95 Quadratmeter bewohnt der 25-Jährige zusammen mit seiner Mitbewohnerin Corinna im zweiten Stock des Altbau-Hauses. „Sie kocht die beste Bolognese der Stadt“, schwärmt er mit vollem Mund und schiebt gleich noch ein Stück Lasagne hinterher. Kein Wunder, als Restaurantleiterin vom Loretta’s ist sie vom Fach.

Gemütlich ist es, mit der rot-weiß karierten Decke auf dem Tisch und den beigen Sesseln, die man aus Omas Wohnzimmer kennt. Auf der Kücheninsel steht eine große Schale frisches Obst, Töpfe stapeln sich in den Regalen, „Kochen mit Jamie Oliver“ ist die Genießer-Lektüre. „Ich liebe das hier alles. Man hat keine Angst nichts anfassen zu dürfen. Nichts passt zusammen und deswegen irgendwie doch“, sagt Cyril. Er ist ein Küchen-Sitzer. Einer, der gerne schlemmt. Keine Süßigkeiten, dafür Bio und davon ganz viel. Einer der’s unkompliziert mag. Einer, der morgens lieber in der Küche Kaffee trinkt statt stundenlang im Bad zu stehen.

Cyril riecht nach Cyril. Punkt.

„Deswegen trage ich meine Mütze, spart das Haare machen“, erklärt er. Klar, duschen und Zähne putzen gehören zum morgentlichen Ritual dazu. Aber sonst ist er dort nur, um auf der Toilette zu sitzen – und Gitarre zu spielen. „Ich hab hier meine Ruhe, keiner stört mich.“ Sagt’s und streicht über die Gitarrenseiten. Versinkt in der Melodie und ist auf einmal ganz weit weg. Die schwarzgekachelten Wände sind sein einziger Zuhörer. Zugegeben, wir sind auch dabei. Lauschen, knipsen, kritzeln Worte auf den Block: „Überraschend: Cyril Krueger trägt kein Parfüm. Cyril riecht nach Cyril. Punkt.“ Noch ein Erinnerungsfoto unter der Dusche. Cool. Raus aus der Wanne, Tür auf, Tür zu, rein in den nächsten Raum.

Im Flur reihen sich Chucks wie eine bunte Karavane fein säuberlich die Wand entlang – 14 Paar an der Zahl. „Ich bin Mütze, Jeans, Chucks“, beschreibt er seinen Style. Die szenigen Stofftreter passen, sind bequem, er trägt sie immer – zu jeder Jahreszeit. „Ich hab im Internet nach den wärmsten Socken der Welt gegooglt und sie bestellt.“ Damit sollen auch bei Schnee und Eis die Füße warm bleiben. Aus Schaafwolle, etwas kratzig, dickes Garn, schwarz. Schwarz sind viele Klamotten in seinen Kleiderschrank. „Schwarz und schwarz passt gut zusammen. Sobald ich zwei Farben kombinieren muss, bin ich überfordert“, sagt er. Die Chucks sind dafür kunterbunt. Der Holzboden knarrt leise, als er den Flur entlanggeht.

„Life“ hat mich enttäuscht

Altbau-Boden, hohe Decken, Rockstars an den Wänden. Idole? „Nee, das mit den Vorbildern ist schwierig“, sagt er. Und greift in seinem Arbeitszimmer ins Bücherregal, um die Biografie von Keith Richards rauszunehmen. „Life“ prankt in großen weißen Buchstaben auf dem Cover. „Ich fand ihn toll, aber nach dem Lesen war ich enttäuscht. Er hat das geschrieben, was von ihm erwartet wurde. Irgendwie war es nicht echt“, sagt er. Blättert. Denkt.

Wie ist Cyril? Bett, Schrank, Sekretär, Wandspiegel – das ist sein Zimmer. Das war’s. Kein Schnickschnack. An der Wand ein selbstgemaltes Bild von seinem Vater, aus Kindertagen. „Er unterstützt mich. Immer“, sagt Cyril. Dankbarkeit schwingt in seiner Stimme mit. Sein Vater träumte einst vom Rockstar-Dasein, spielte in einer Band. „Sie hatten Großes vor“, erzählt Cyril. Doch der große Durchbruch blieb aus.

Striptease für „Marie“

Das Musikbusiness ist hart. Cyril arbeitet mit Königswort an einem Album. Einsingen im Studio, Cover am heimischen PC bauen, Freunde für den Videodreh anrufen. „Wir machen alles selber.“ Nach dem Auftakt-Hit „So’n Schein“ kommt die Single „Marie“ am 18. Oktober in die Läden. „Es ist eine Ballade mit Eiern“, erzählt er. „Für mich ein echter Striptease. Es ist eine Geschichte aus meinem Leben.“ Er singt von einer zerbrochenen Liebe. Er singt von dem Moment, wo einem das Ende bewusst wird, dass man vorher nicht kommen sah. Er singt von ihr. Marie. Emotionen. Man fühlt mit.

Nach einer Stunde haben wir alles gesehen und viele Geschichten gehört. Cyril muss los. Den Videodreh für „Marie“ organisieren. „Wir drehen in einem Möbelhaus in Hannover, weil wir unterschiedliche Kulissen brauchen“, erzählt er. „Mit echten Schauspielern. Das wird cool“, sagt’s und grinst dabei. Wir sind gespannt …

Mareike Köster und Ina Richter (Foto)

#Hashtag-Wahnsinn

Ohne sie geht im Social Media-Alltag gar nichts: Hashtags. Das Rautenzeichen vereinfacht uns die Suche nach Skandalen, Stars, Storys und, und, und … Alles und Jeder hat ein Schlagwort – besser noch drei oder vier. Klingt komisch, hört sich auch so an. „Late Night“-Talker Jimmy Fallon und Popstar Justin Timberlake haben darüber mal geplaudert. #ghochzwei haben sie dabei aber vergessen … #LOL

Der Entenmann

Disney-Zeichner bei der Arbeit: Donald Duck-"Papa" Jan Gulbransson zeichnet immer barfuß. Am liebsten um 3 Uhr morgens. Foto: Mareike Köster
Disney-Zeichner bei der Arbeit: Donald Duck-„Papa“ Jan Gulbransson zeichnet immer barfuß. Am liebsten um 3 Uhr morgens. Foto: Mareike Köster

Prolog

Reporter sind Jäger. Wenn sie eine gute Geschichte riechen, gibt’s kein Halten mehr. Sie campieren nachts vor Wohnungen, telefonieren sich die Finger wund – oder sie kochen.

Im Sommer 2012 stieß ich bei einer Internet-Recherche auf Jan Gulbransson. Münchener, Disney-Zeichner, spannender Mensch. Den Mann musste ich kennenlernen, ihm über die Schulter schauen, wie er innerhalb von Sekunden aus einem leeren Blatt das kunterbunte Entenhausen zaubert.

Der Deal: Knusprige Ente gegen knackige Geschichten

Seit dem 1. Dezember 2011 war sein hellblauer Druckbleistift im Dauereinsatz, sein Projekt „Die Ducks in Deutschland“ hielt ihn in Atem. 16 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Vögel am Fließband. In der Comic-Reihe des Magazins „Mickey Maus“ reiste die Entenfamilie um Donald Duck durch deutsche Großstädte. Besuchte Merkel in Berlin und das Oktoberfest in München, um den Schatz der Gräfin von Tarn und Tuxis zu finden. „Die Comics müssen auf Biegen und Brechen fertig werden. Da bleibt noch nicht mal Zeit zum Essen: Linke Hand am Butterbrot, rechte Hand an der Maus“, schrieb er via E-Mail. Zeit für ein Interview? Keine Chance.

Doch Donalds Daddy ist bestechlich, mit seiner Leibspeise: Ente. Der Deal: Ich kredenze ihm einen Erpel, er zeigt mir sein Entenhaus(en). Das ist seine Geschichte:

Der Entenmann

Jan Gulbransson zeichnet den Comic-Helden Donald Duck, legt ihm Wörter in den Schnabel – als einziger Deutscher. Ein Tag im Leben eines Mannes, der Herz und Gaumen an Enten verloren hat.

Der Geruch von Rosmarin und Oregano durchzieht die Küche der 3-Zimmer-Wohnung im Münchener Stadtteil Haidhausen. Die Ente nimmt im Bräter, mit Honigmaske auf der Haut, ein Rotweinbad – im Backofen von Jan Gulbransson. Dem Entenmann.

Sieben Stunden zuvor. Die Digitaluhr im Arbeitszimmer zeigt „3:00“. Dunkelheit. München schläft, Donald Duck ruft. Im Schlafzimmer raschelt die Bettdecke. Die Lerche erwacht. Ohne Wecker – „den hat der Teufel erfunden.“ Jan Gulbransson schleicht lautlos aus dem Schlafzimmer, nur nicht seine Frau Ulla wecken. Er huscht über den grauen Flurteppich. Schnelle Schritte. „Ich bin leise wie eine Maus, weiß wo ich hintreten darf. Das hab ich auf den Holzdielen im Haus meiner Großeltern gelernt“, sagt er. Ziel des leisen Läufers ist das Arbeitszimmer.

Leben. Genießen.

Der Computer fährt hoch. „Pling!“ Erst Computer, dann Klo, so ist der Ablauf – immer. Zum Frühstück gibt’s Espresso, keinen Kaffee. Mit einem Schuss Sahne, keine Milch. „Lebensqualität“, nennt Gulbransson das. Seine blauen Augen blitzen hinter der Brille mit dem Goldrand, lässig fährt er sich durchs graue Haar.

Im Arbeitszimmer ächzen deckenhohe Regale unter der Last von Büchern. Unzählbar. Liest er Comics? „Nein, aus Seelenhygiene“, sagt er. Seitdem er in den 80ern anfing als Cartoonist zu arbeiten, sind Arbeiten der Kollegen tabu. Der 63-Jährige thront auf dem hölzernen Thonet-Stuhl am Schreibtisch, fünf Kissen unterm Po. Sein Zeichenbrett ruht auf seiner blauen Jeans, seine nackten Füße auf dem schwarzen Hocker. „Alles was ich mache, mache ich auf die bequemste Art“, sagt er. Die Rolling Stones schallen aus den Boxen der Musikanlage.

Das Rotweinbad des Erpels blubbert wie ein Whirlpool. Vor dem Küchenfenster pfeift ein Spatz. An den Wänden hängen Zeichnungen. Rahmen an Rahmen. Nur wenige Zentimeter der weißen Raufasertapete blitzen hervor. Jedes Bild erzählt eine Geschichte. Gulbransson zeigt mit dem schlanken Zeigefinger auf die Tusche-Zeichnung über dem Herd. Hinter Glas sitzt sein Kater Albert Leopold. „Ich hab ihn mit fünf Jahren gemalt“, sagt er. Schwarz-grau getigert. Katzen faszinieren ihn. „Sie kommen und gehen, wann sie wollen. Und wenn sie sich wohl fühlen, dann bleiben sie“, sagt er.

Er bleibt – bei Donald. „Ich hab als Kind ein Heft 20 Mal hintereinander gelesen. Ihn zu zeichnen ist ein Kindheitstraum“, sagt er. Als der Verlag ihm die Chance gibt, nutzt er sie. „Ich lebe nach dem Motto: Versäume nichts, was Dir wichtig ist. Und Donald ist mein Blutsbruder“, sagt er. Mit dem Radiergummi löscht er Donalds Fuß. Gulbransson legt die Zeichnung auf den Scanner. Surren. Schnaufen. Donald ploppt im PC-Bildschirm auf, nun geht’s an die Feinarbeit. Mit der Maus korrigiert er schwarze Linien.

Das dicke Ende kommt zuerst

Die Ente ist fertig. Essenszeit. Gulbransson zieht den Tisch ran, nah an den Bauch. Kaut. Lobt. Trinkt – Pils. „Pils, kein anderes Bier“, sagt der gebürtige Bayer und lädt die Gabel voll. Erst die Rosmarin-Kartoffeln, es folgt Rotkohl, dann Ente. Das Beste zum Schluss. „Das Ende der Duck-Geschichten schreibe ich zuerst“, sagt der 63-Jährige. Denkt er über sein Ende nach? „Ich hab ein gutes Immunsystem, bin nie krank.“ Doch vor einigen Jahren war das anders. „Ich hab Fisch gegessen, Antibiotikum genommen. Mir ging’s nicht gut. Als die Situation sich zuspitzte, bin ich ins Krankenhaus“, erinnert er sich. Im Krankenhausflur bricht er zusammen. Schmerzen im Bauch. Ab in den OP. Fahles Neonlicht beleuchtet das Schreckensszenario. Diagnose: Blind-darm-Durchbruch. „Ich hab nur diese hässlichen Lampen vor Augen. Das sollte nicht mein letztes Bild sein“, sagt er auf der Ente kauend.

Gulbransson zückt den hellblauen Druckbleistift. Der Entenforscher. Donalds Schnabel soll schnabeliger werden. Jahrelang hat er an Münchens Seen gezeichnet. Füße im Gras. Wind im Haar. Natur. „Hätte ich meine Leidenschaft für Biologie früher entdeckt, wäre ich heute kein Zeichner.“ Sagt’s und widmet sich seiner Lieblingsente Donald Duck.

Mareike Köster