Der Entenmann

Disney-Zeichner bei der Arbeit: Donald Duck-"Papa" Jan Gulbransson zeichnet immer barfuß. Am liebsten um 3 Uhr morgens. Foto: Mareike Köster
Disney-Zeichner bei der Arbeit: Donald Duck-„Papa“ Jan Gulbransson zeichnet immer barfuß. Am liebsten um 3 Uhr morgens. Foto: Mareike Köster

Prolog

Reporter sind Jäger. Wenn sie eine gute Geschichte riechen, gibt’s kein Halten mehr. Sie campieren nachts vor Wohnungen, telefonieren sich die Finger wund – oder sie kochen.

Im Sommer 2012 stieß ich bei einer Internet-Recherche auf Jan Gulbransson. Münchener, Disney-Zeichner, spannender Mensch. Den Mann musste ich kennenlernen, ihm über die Schulter schauen, wie er innerhalb von Sekunden aus einem leeren Blatt das kunterbunte Entenhausen zaubert.

Der Deal: Knusprige Ente gegen knackige Geschichten

Seit dem 1. Dezember 2011 war sein hellblauer Druckbleistift im Dauereinsatz, sein Projekt „Die Ducks in Deutschland“ hielt ihn in Atem. 16 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Vögel am Fließband. In der Comic-Reihe des Magazins „Mickey Maus“ reiste die Entenfamilie um Donald Duck durch deutsche Großstädte. Besuchte Merkel in Berlin und das Oktoberfest in München, um den Schatz der Gräfin von Tarn und Tuxis zu finden. „Die Comics müssen auf Biegen und Brechen fertig werden. Da bleibt noch nicht mal Zeit zum Essen: Linke Hand am Butterbrot, rechte Hand an der Maus“, schrieb er via E-Mail. Zeit für ein Interview? Keine Chance.

Doch Donalds Daddy ist bestechlich, mit seiner Leibspeise: Ente. Der Deal: Ich kredenze ihm einen Erpel, er zeigt mir sein Entenhaus(en). Das ist seine Geschichte:

Der Entenmann

Jan Gulbransson zeichnet den Comic-Helden Donald Duck, legt ihm Wörter in den Schnabel – als einziger Deutscher. Ein Tag im Leben eines Mannes, der Herz und Gaumen an Enten verloren hat.

Der Geruch von Rosmarin und Oregano durchzieht die Küche der 3-Zimmer-Wohnung im Münchener Stadtteil Haidhausen. Die Ente nimmt im Bräter, mit Honigmaske auf der Haut, ein Rotweinbad – im Backofen von Jan Gulbransson. Dem Entenmann.

Sieben Stunden zuvor. Die Digitaluhr im Arbeitszimmer zeigt „3:00“. Dunkelheit. München schläft, Donald Duck ruft. Im Schlafzimmer raschelt die Bettdecke. Die Lerche erwacht. Ohne Wecker – „den hat der Teufel erfunden.“ Jan Gulbransson schleicht lautlos aus dem Schlafzimmer, nur nicht seine Frau Ulla wecken. Er huscht über den grauen Flurteppich. Schnelle Schritte. „Ich bin leise wie eine Maus, weiß wo ich hintreten darf. Das hab ich auf den Holzdielen im Haus meiner Großeltern gelernt“, sagt er. Ziel des leisen Läufers ist das Arbeitszimmer.

Leben. Genießen.

Der Computer fährt hoch. „Pling!“ Erst Computer, dann Klo, so ist der Ablauf – immer. Zum Frühstück gibt’s Espresso, keinen Kaffee. Mit einem Schuss Sahne, keine Milch. „Lebensqualität“, nennt Gulbransson das. Seine blauen Augen blitzen hinter der Brille mit dem Goldrand, lässig fährt er sich durchs graue Haar.

Im Arbeitszimmer ächzen deckenhohe Regale unter der Last von Büchern. Unzählbar. Liest er Comics? „Nein, aus Seelenhygiene“, sagt er. Seitdem er in den 80ern anfing als Cartoonist zu arbeiten, sind Arbeiten der Kollegen tabu. Der 63-Jährige thront auf dem hölzernen Thonet-Stuhl am Schreibtisch, fünf Kissen unterm Po. Sein Zeichenbrett ruht auf seiner blauen Jeans, seine nackten Füße auf dem schwarzen Hocker. „Alles was ich mache, mache ich auf die bequemste Art“, sagt er. Die Rolling Stones schallen aus den Boxen der Musikanlage.

Das Rotweinbad des Erpels blubbert wie ein Whirlpool. Vor dem Küchenfenster pfeift ein Spatz. An den Wänden hängen Zeichnungen. Rahmen an Rahmen. Nur wenige Zentimeter der weißen Raufasertapete blitzen hervor. Jedes Bild erzählt eine Geschichte. Gulbransson zeigt mit dem schlanken Zeigefinger auf die Tusche-Zeichnung über dem Herd. Hinter Glas sitzt sein Kater Albert Leopold. „Ich hab ihn mit fünf Jahren gemalt“, sagt er. Schwarz-grau getigert. Katzen faszinieren ihn. „Sie kommen und gehen, wann sie wollen. Und wenn sie sich wohl fühlen, dann bleiben sie“, sagt er.

Er bleibt – bei Donald. „Ich hab als Kind ein Heft 20 Mal hintereinander gelesen. Ihn zu zeichnen ist ein Kindheitstraum“, sagt er. Als der Verlag ihm die Chance gibt, nutzt er sie. „Ich lebe nach dem Motto: Versäume nichts, was Dir wichtig ist. Und Donald ist mein Blutsbruder“, sagt er. Mit dem Radiergummi löscht er Donalds Fuß. Gulbransson legt die Zeichnung auf den Scanner. Surren. Schnaufen. Donald ploppt im PC-Bildschirm auf, nun geht’s an die Feinarbeit. Mit der Maus korrigiert er schwarze Linien.

Das dicke Ende kommt zuerst

Die Ente ist fertig. Essenszeit. Gulbransson zieht den Tisch ran, nah an den Bauch. Kaut. Lobt. Trinkt – Pils. „Pils, kein anderes Bier“, sagt der gebürtige Bayer und lädt die Gabel voll. Erst die Rosmarin-Kartoffeln, es folgt Rotkohl, dann Ente. Das Beste zum Schluss. „Das Ende der Duck-Geschichten schreibe ich zuerst“, sagt der 63-Jährige. Denkt er über sein Ende nach? „Ich hab ein gutes Immunsystem, bin nie krank.“ Doch vor einigen Jahren war das anders. „Ich hab Fisch gegessen, Antibiotikum genommen. Mir ging’s nicht gut. Als die Situation sich zuspitzte, bin ich ins Krankenhaus“, erinnert er sich. Im Krankenhausflur bricht er zusammen. Schmerzen im Bauch. Ab in den OP. Fahles Neonlicht beleuchtet das Schreckensszenario. Diagnose: Blind-darm-Durchbruch. „Ich hab nur diese hässlichen Lampen vor Augen. Das sollte nicht mein letztes Bild sein“, sagt er auf der Ente kauend.

Gulbransson zückt den hellblauen Druckbleistift. Der Entenforscher. Donalds Schnabel soll schnabeliger werden. Jahrelang hat er an Münchens Seen gezeichnet. Füße im Gras. Wind im Haar. Natur. „Hätte ich meine Leidenschaft für Biologie früher entdeckt, wäre ich heute kein Zeichner.“ Sagt’s und widmet sich seiner Lieblingsente Donald Duck.

Mareike Köster

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