Blatt statt Blatt

Ein Künstler zeichnet auf Blättern. Logisch. Der Spanier Lorenzo Manuel Durán nutzt Blätter – direkt vom Baum. Sammeln, pressen, loslegen. G² schaut dem Ausnahmekünstler über die Schulter.

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Es dauert nur wenige Minuten, dann ist alles weg. Ein kahler Stängel bleibt übrig, dann zieht sie weiter. Die Raupe. Immer hungrig, immer agil. Kein Baum ist hoch genug. Kein Blatt ist vor ihr sicher. Was sie nicht weiß: Sie wird beobachtet. Lorenzo Manuel Durán verfolgt aufmerksam das gefräßige Treiben. „Das kleine Tier hat mich inspiriert. Mir kam die Idee, Blätter zu beschneiden, dass aus ihnen kleine Kunstwerke werden“, erinnert er sich. Mit einem chirurgischen Skalpell und jeder Menge Fingerspitzengefühl geht er ans Werk. Das war 2005.

Acht Jahre später hat er seine Leidenschaft für die filigrane Arbeit immer noch nicht verloren. Im Gegenteil: „Jedes Blatt ist für mich immer wieder eine Herausforderung“, erzählt er. Immer feiner wird seine Technik. Sein Material findet er direkt vor der Haustür in Guadalajara, Castilla-La Mancha. Das Laub wird sorgsam gepresst, bevor es unters Skalpell geht. „Ich nutze Schablonen, um Motive aufs Blatt zu bringen“, erzählt der Künstler.

Aus schnödem Laub werden Landschaften, Tiere und Gesichter. Man staunt und möchte es ihm gleichtun. Wen die Kunst von Lorenzo Manuel Durán fasziniert: Auf https://www.facebook.com/Naturayarte „Gefällt mir“ klicken.

Der erste Freund

26. September, 1 Uhr nachts: „Pedro Prüser gefällt G²“ teilt uns Facebook nüchtern in einem kleinen Kasten auf dem Bildschirmrand des Laptops mit. Plopp – und weg ist es wieder. Frenetische Freude im G²-Hauptquartier in Hannover. Unser erster Facebook-Freund. Wow! Wer uns mag, den mögen wir auch, beschließen wir. Und besuchen den Comedy-Künstler im realen Leben. Teechen trinken und ’nen Plausch halten. Wie das Freunde eben so machen.

Das Teewasser blubbert im Wasserkocher. Kanne, Tasse, Teebeutel – alles steht bereit. Schwarzen Tee in die Kanne geben, heißes Wasser drüber, ziehen lassen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen und verkniffenem Mund tappt Pedro Prüser von der Küche ins Wohnzimmer – sein Ich-bin-konzentriert-Gesicht. Ernst schaut er dann. Ein seltener Moment. Ist der blaue Kittel im Koffer? Fehlt der Pümpel? Zweifel. Koffer auf, Sachen raus, Kostüm-Check. Ja, Hausmeister Heinrich Bloch ist komplett.

Wo ist die Wegroute? Weg …

Alles wieder in den Koffer packen. „Wenn ich einen Auftritt habe, bin ich morgens schon aufgeregt“, erzählt uns der Comedian bei einer Tasse Tee in seiner Wohnung in der Calenberger Neustadt. Und muss über sich selbst lachen. Laut lacht er, mitreißend und oft. Wo ist die Wegroute zum Auftrittsort? Weg. Ab zum Computer, nochmal drucken.“Ich mache mir Tee, vergesse, dass ich ihn gemacht habe, dann wird er kalt und gieße damit die Blumen.“ Schwarzer Tee fürs Blattgrün. Den Pflanzen gefällt’s. Wasser trinken ist langweilig.

Langeweile passt in sein 2-Zimmer-Zuhause nicht mehr rein. Platzproblem. Werbeplakate mit Auftritten aus vergangenen Zeiten, antike Möbel von der Großtante und Maskottchen mit Erfinder-Geschichte gibt’s in jeder Ecke. „Für die Stadtentwässerung Hannover habe ich Paul Pümpel kreiert“, sagt er. Als Hausmeister Heinrich Bloch bespaßte er mit einem Auftritt das Team. „Überall standen diese Pümpel auf den Tischen“, sagte er und zeigt auf einen Gummi-Stifthalter. Sie inspirierte ihn. Augen drauf, fertig ist das putzige Kerlchen. So einfach ist das in der Prüser-Welt.

„Im Heinrich steckt am meisten Pedro“

Viele bunte Murmeln sind in seinem Kopf – unzählbar. „Darum ist der Kopf ja rund, damit die Murmeln kullern können, nech“, sagt er mit veränderter Stimmlage. Was ist das? Plattdeutsch? Wir lauschen. Und plötzlich sitzt Hausmeister Bloch vor uns. Für Sekunden. Dann ist Pedro wieder da. Faszinierend.

„Alle Geschichten zu den einzelnen Figuren sind hier oben drin“, sagt er und tippt an seine Stirn. Jede Figur hat ihren eigenen Charakter. 14 Stück. Butler Mortimer ist höflich, Schlagerstar Don Pedro ein Frauenheld und Hausmeister Bloch ein kreativer Bastler. „Und er rettet die Welt“, fügt Pedro hinzu. Der Hausmeister ist sein Liebling. „Im Heinrich steckt am meisten Pedro.“ Und: Es war die erste Rolle. Sein Anfang.

Beruf: Gute-Laune-Mann

Am Anfang war die Ampel rot. Und er stand dort, neben Wolfgang Werner,  dem Direktor der Werkstatt-Galerie Calenberg, zufällig. Sie warteten, plauschten und lachten. Und dann zeigte Werner dem gelernten Koch Prüser sein Theater. Aus der Führung wurde kurze Zeit später ein Job-Angebot als Walk-Act.  „Ich dachte mir zuerst: Was ist das denn, ein Walk-Act? Ich kann das nicht“, erzählt Pedro. Doch die Gage überzeugte ihn. „Damit konnte ich drei Monate meine Miete zahlen. Also dachte ich mir: Hey, ich kann das doch.“ Das war im Jahr 2000. Ein entscheidender Moment. Sechs Jahre nach dem Sprung ins kalte Wasser, machte er sich selbstständig. Beruf: Gute-Laune-Mann bei Comedy Hannover.

Und was ist ein Mann ohne Frau? Nichts. Darum steht Comedy-Partnerin Susanne Nülle stets an seiner Seite, wenn’s auf die Bühne geht. Als Zofe Rose, Betty Beauty oder Hausmeister-Frau Bertha Bloch. „Als Magd Martha ist Susanne am beliebtesten. Kaum setzt sie sich zu den Leuten an den Tisch und sagt ‚Tach!‘, wird sie in den Arm genommen“, erzählt Pedro. Für seine Rolle Bauer Meyer ist das okay, Eifersucht ist kein Thema, er kann darüber lachen.

Mütze ab, Brille ab, Pedro sein

Kennengelernt haben sich die zwei Spaßvögel im Zoo. „Ich war dort Schlangen-Manager“, sagt Pedro. Sein Job: Lustig sein und Neulinge in der Warteschlange vor dem Eingang begrüßen. Die Schlangen-Tiere hätten sicher auch gern Witze gehört. „Die haben aber keine Ohren“, weiß Pedro. Stimmt. Menschen aber.

Und für die gab’s dann das auf die Lauscher: „Schön dass Sie auch schon da sind, haben Sie die Telefonnummer von dem Mensch ganz vorne? Können sie sich austauschen und schon mal kennenlernen … Ich organisier das mal für Sie“, improvisiert er. Ulkige Vorstellung. „Sobald ich das Kostüm anhabe, bin ich in der Rolle. Und umgekehrt: Mütze ab, Brille ab, dann bin ich wieder ich“, sagt Pedro. Das wollen wir sehen und begleiten ihn in die heimische Garderobe.

Perücken, falsche Zähne, Gehstöcke – alles da. Bauer Meyer, Kapitän Hans, Butler Mortimer und der Kaiser von Hannover hängen dicht gedrängt an den Kleiderstangen und warten aufs Scheinwerferlicht.

Erst gähnen, dann grinsen

„Kurz vor dem Auftritt sind Susanne und ich immer tierisch müde, kaum sind wir auf der Bühne, sind wir wieder hellwach. Woran das liegt, haben wir noch nicht rausgefunden“, sagt er und greift zum Glitzermikrofon. Schlagerstar Don Pedro springt durch’s Zimmer. Charmanter Typ. Singt und tanzt. Gitarre spielen kann er auch, der Pedro. Ganze drei Akkorde. „Das reicht. Hauptsache der Text des Liedes ist gut“, sagt er und trällert uns ein Liedchen vor. Privatauftritt für G². Wir klatschen.

Die emotionalsten Auftritte sind die, die dem Comedy-Star im Gedächtnis bleiben: Als versteckter Gast wurde das Spaß-Duo Pedro und Susanne für eine Hochzeit engagiert. Das Brautpaar: Zwei Fremde. Ihre Rolle: Zwei gute Bekannte der Turteltauben, Eventmanager Winfried Weber und Cordelia. „Wir bekamen Insider-Infos von Freunden des Brautpaars und ich hielt eine herzzerreißende Rede auf der Feier“, erzählt Pedro, „irgendwann haben wirklich alle geglaubt, dass wir mit dem Paar dick befreundet sind. Auf dem offiziellen Hochzeitsfoto stehen wir ganz vorne.“ Ein Riesenspaß. Als der Vorhang fällt können alle herzlich lachen.

Wir lachen mit. Heinrich-Don-Kaiser-Pedro, spätestens zum Karneval kommen wir wieder. Um uns bunte Hüte auszuleihen. Und Tee zu trinken …

Mareike Köster und Ina Richter (Fotos)

Der Entenmann

Disney-Zeichner bei der Arbeit: Donald Duck-"Papa" Jan Gulbransson zeichnet immer barfuß. Am liebsten um 3 Uhr morgens. Foto: Mareike Köster
Disney-Zeichner bei der Arbeit: Donald Duck-„Papa“ Jan Gulbransson zeichnet immer barfuß. Am liebsten um 3 Uhr morgens. Foto: Mareike Köster

Prolog

Reporter sind Jäger. Wenn sie eine gute Geschichte riechen, gibt’s kein Halten mehr. Sie campieren nachts vor Wohnungen, telefonieren sich die Finger wund – oder sie kochen.

Im Sommer 2012 stieß ich bei einer Internet-Recherche auf Jan Gulbransson. Münchener, Disney-Zeichner, spannender Mensch. Den Mann musste ich kennenlernen, ihm über die Schulter schauen, wie er innerhalb von Sekunden aus einem leeren Blatt das kunterbunte Entenhausen zaubert.

Der Deal: Knusprige Ente gegen knackige Geschichten

Seit dem 1. Dezember 2011 war sein hellblauer Druckbleistift im Dauereinsatz, sein Projekt „Die Ducks in Deutschland“ hielt ihn in Atem. 16 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Vögel am Fließband. In der Comic-Reihe des Magazins „Mickey Maus“ reiste die Entenfamilie um Donald Duck durch deutsche Großstädte. Besuchte Merkel in Berlin und das Oktoberfest in München, um den Schatz der Gräfin von Tarn und Tuxis zu finden. „Die Comics müssen auf Biegen und Brechen fertig werden. Da bleibt noch nicht mal Zeit zum Essen: Linke Hand am Butterbrot, rechte Hand an der Maus“, schrieb er via E-Mail. Zeit für ein Interview? Keine Chance.

Doch Donalds Daddy ist bestechlich, mit seiner Leibspeise: Ente. Der Deal: Ich kredenze ihm einen Erpel, er zeigt mir sein Entenhaus(en). Das ist seine Geschichte:

Der Entenmann

Jan Gulbransson zeichnet den Comic-Helden Donald Duck, legt ihm Wörter in den Schnabel – als einziger Deutscher. Ein Tag im Leben eines Mannes, der Herz und Gaumen an Enten verloren hat.

Der Geruch von Rosmarin und Oregano durchzieht die Küche der 3-Zimmer-Wohnung im Münchener Stadtteil Haidhausen. Die Ente nimmt im Bräter, mit Honigmaske auf der Haut, ein Rotweinbad – im Backofen von Jan Gulbransson. Dem Entenmann.

Sieben Stunden zuvor. Die Digitaluhr im Arbeitszimmer zeigt „3:00“. Dunkelheit. München schläft, Donald Duck ruft. Im Schlafzimmer raschelt die Bettdecke. Die Lerche erwacht. Ohne Wecker – „den hat der Teufel erfunden.“ Jan Gulbransson schleicht lautlos aus dem Schlafzimmer, nur nicht seine Frau Ulla wecken. Er huscht über den grauen Flurteppich. Schnelle Schritte. „Ich bin leise wie eine Maus, weiß wo ich hintreten darf. Das hab ich auf den Holzdielen im Haus meiner Großeltern gelernt“, sagt er. Ziel des leisen Läufers ist das Arbeitszimmer.

Leben. Genießen.

Der Computer fährt hoch. „Pling!“ Erst Computer, dann Klo, so ist der Ablauf – immer. Zum Frühstück gibt’s Espresso, keinen Kaffee. Mit einem Schuss Sahne, keine Milch. „Lebensqualität“, nennt Gulbransson das. Seine blauen Augen blitzen hinter der Brille mit dem Goldrand, lässig fährt er sich durchs graue Haar.

Im Arbeitszimmer ächzen deckenhohe Regale unter der Last von Büchern. Unzählbar. Liest er Comics? „Nein, aus Seelenhygiene“, sagt er. Seitdem er in den 80ern anfing als Cartoonist zu arbeiten, sind Arbeiten der Kollegen tabu. Der 63-Jährige thront auf dem hölzernen Thonet-Stuhl am Schreibtisch, fünf Kissen unterm Po. Sein Zeichenbrett ruht auf seiner blauen Jeans, seine nackten Füße auf dem schwarzen Hocker. „Alles was ich mache, mache ich auf die bequemste Art“, sagt er. Die Rolling Stones schallen aus den Boxen der Musikanlage.

Das Rotweinbad des Erpels blubbert wie ein Whirlpool. Vor dem Küchenfenster pfeift ein Spatz. An den Wänden hängen Zeichnungen. Rahmen an Rahmen. Nur wenige Zentimeter der weißen Raufasertapete blitzen hervor. Jedes Bild erzählt eine Geschichte. Gulbransson zeigt mit dem schlanken Zeigefinger auf die Tusche-Zeichnung über dem Herd. Hinter Glas sitzt sein Kater Albert Leopold. „Ich hab ihn mit fünf Jahren gemalt“, sagt er. Schwarz-grau getigert. Katzen faszinieren ihn. „Sie kommen und gehen, wann sie wollen. Und wenn sie sich wohl fühlen, dann bleiben sie“, sagt er.

Er bleibt – bei Donald. „Ich hab als Kind ein Heft 20 Mal hintereinander gelesen. Ihn zu zeichnen ist ein Kindheitstraum“, sagt er. Als der Verlag ihm die Chance gibt, nutzt er sie. „Ich lebe nach dem Motto: Versäume nichts, was Dir wichtig ist. Und Donald ist mein Blutsbruder“, sagt er. Mit dem Radiergummi löscht er Donalds Fuß. Gulbransson legt die Zeichnung auf den Scanner. Surren. Schnaufen. Donald ploppt im PC-Bildschirm auf, nun geht’s an die Feinarbeit. Mit der Maus korrigiert er schwarze Linien.

Das dicke Ende kommt zuerst

Die Ente ist fertig. Essenszeit. Gulbransson zieht den Tisch ran, nah an den Bauch. Kaut. Lobt. Trinkt – Pils. „Pils, kein anderes Bier“, sagt der gebürtige Bayer und lädt die Gabel voll. Erst die Rosmarin-Kartoffeln, es folgt Rotkohl, dann Ente. Das Beste zum Schluss. „Das Ende der Duck-Geschichten schreibe ich zuerst“, sagt der 63-Jährige. Denkt er über sein Ende nach? „Ich hab ein gutes Immunsystem, bin nie krank.“ Doch vor einigen Jahren war das anders. „Ich hab Fisch gegessen, Antibiotikum genommen. Mir ging’s nicht gut. Als die Situation sich zuspitzte, bin ich ins Krankenhaus“, erinnert er sich. Im Krankenhausflur bricht er zusammen. Schmerzen im Bauch. Ab in den OP. Fahles Neonlicht beleuchtet das Schreckensszenario. Diagnose: Blind-darm-Durchbruch. „Ich hab nur diese hässlichen Lampen vor Augen. Das sollte nicht mein letztes Bild sein“, sagt er auf der Ente kauend.

Gulbransson zückt den hellblauen Druckbleistift. Der Entenforscher. Donalds Schnabel soll schnabeliger werden. Jahrelang hat er an Münchens Seen gezeichnet. Füße im Gras. Wind im Haar. Natur. „Hätte ich meine Leidenschaft für Biologie früher entdeckt, wäre ich heute kein Zeichner.“ Sagt’s und widmet sich seiner Lieblingsente Donald Duck.

Mareike Köster